Um vorweg klarzustellen: Mir ist als christlich geprägtem Mensch schon immer David viel sympathischer gewesen als Goliath, auch wenn der derzeit so moderne Terrorismus-Begriff in diesem Zusammenhang sehr problematisch ist. Ganz klar bin ich jedoch auf Seiten des gewaltfreien Kampfes um Menschenrechte, der friedlichen Demonstrationen und vor allem konstruktiven Arbeit für Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Deshalb war ich auch bei den Menschen am Majdan wie bei denen im Gezi-Park, auf dem Tahrir-Platz, in der Votiv- oder der Nikolaikirche oder am Platz des himmlischen Friedens. Doch auch wenn ich sicher nicht beurteilen kann, ob der Euromaidan nicht auch bis zu den nächsten Wahlen Zeit gehabt hätte, und auch nicht sicher bin, ob das irgendjemand wirklich beurteilen kann, so ist vollkommen klar, daß jede gewaltsamere Veränderung viele Probleme mit sich bringt. Gewalt erzeugt Gegengewalt und Leid. Gewalt bringt viel zu oft nur oberflächliche Veränderung weil Lernprozesse übersprungen und meist sogar dauerhaft verhindert werden. Gewalt vermehrt Unklarheiten, erzeugt ein gefährliches Vakuum und verschlimmert damit manchmal alles.
Ich muß gestehen, daß ich auch deshalb zu den Demonstranten in der Ukraine helfe, weil sie pro-europäisch sind, also zu mir gehören wollen. Wenn ich diese chauvinistische Sicht ablege, muß ich erkennen, daß wir Demokratisierungsprozessen oft nicht ganz so positiv gegenüberstehen, wenn sie uns nicht gefallen, ja manchmal sogar z.B. korrekte aber pro-islamische Volksentscheide einfach nicht akzeptieren wollen. Zählen Stimmen nur dann, wenn sie uns gefallen? Sind Demonstranten nur in der Hauptstadt dazu legitimiert, einen Volksvertreter zu bestimmen? Was unterscheidet die Menschen in Kiev von denen in der Ostukraine? Warum dürfen die einen nicht, was die anderen taten? Fremdbeeinflußt, aufgestachelt ungeduldig und doch auch nachvollziehbar, berechtigt, unterlegen sind die Anliegen der einen wie die der anderen.
Auch wenn ich dem KGB-Oberstleutnant und Diktator Putin nur äußerst ungern zustimme, so wird er wohl recht haben, wenn er sagt, daß Janukowitsch bei der nächsten Wahl sowieso keine Chancen mehr gehabt hätte. Warum also mußte es unbedingt schneller gehen und damit so viele Unklarheiten & Komplikationen mit sich bringen?
Wie so oft bei plötzlichen Ereignissen mit großer internationaler Aufmerksamkeit drängt sich die Frage auf, wem diese am meisten nutzen. Nach einem bestimmten, ganz schrecklichen elften September wurde kaum noch vom Wahlbetrug, der fatalen, innenpolitischen Pattsituation, dem peinlichen Kyoto-Ausstieg, den zerstörerischen Ölbohrungen in Umweltschutzgebieten, dem Stammzellenforschungsdebakel oder sonst einigen Skandalen des amerikanischen Präsidenten gesprochen. Wer auch immer die todbringenden Flugzeuge gelenkt hat – schuld waren offensichtlich mehrere. Genutzt hat es ganz klar nur einer Seite.
Und heute lenken die mutigen, ausdauernden aber eindeutig von außen beeinflußten ukrainischen Proteste und ihre eskalierenden Auswirkungen sehr effektiv davon ab, daß die USA überhaupt nichts an Ihrer Spionage-Politik ändern will. Europa wird zum Schulterschluß mit äußerst fragwürdigen Freunden gedrängt, vergißt jede gesundheits-, umwelt- oder finanzpolitische Kritik am geplanten Freihandelsabkommen, denkt nicht mehr an die vielen weltweiten Verbrechen eines Präsidenten, der alles anders machen wollte und es doch nicht tut. Yes, he could!
Putin lehnt sich breitbeinig zurück. Die Fehler seiner Gegner werden ihnen um so schwerer auf den Kopf fallen, je länger sie sie vertuschen. Was ihm selber noch auf den Kopf fallen wird, können wir nur erahnen. Und den Davids & Goliaths in der Ukraine und allen anderen Krisenherden können wir nur wünschen, daß sie neue, bessere Wege des Miteinander finden, und ihre Wunden bald verheilen.