Das „Grufti-Picknick“
Es ist ja als Grufti (oder Gothic oder wie man sich sonst noch nennen mag) oft äußerst schwer, Gleichgesinnte kennenzulernen. Treibt man sich nächtens heimlich am Friedhof herum, wird man oft jahrelang keinen Lebenden dort treffen. Geht man in düstere Kellerlokale so sieht man nur Menschen, die so sehr damit beschäftigt sind, traurig, geheimnisvoll, furchterregend oder vornehm dreinzuschauen, daß man nie miteinander ins Reden kommen kann.
Und in Wien kommt noch dazu, daß sich die Grufti-Überheblichkeit noch mit der für Wien typischen Misanthropie zu einer wirklich fatalen Mischung vereint.
Deshalb sind auf den einschlägigen Internetforen auch immer wieder dieselben Hilferufe zu lesen: Da kommt jemand aus einem kleinen Dorf in der Steiermark, in dem er immer als Satanist beschimpft wurde, weil er der einzige war, der sich für Düsteres, Morbides interessierte. Dieser arme Tropf kommt nun nach Wien und hofft, hier Gleichgesinnte zu finden. Meist berichtet er auch, daß er die wichtigsten Lokale schon erfolglos abgeklappert ist. Und immer hofft er, zumindest in diesen virtuellen Realitäten in einer Gemeinschaft willkommengeheißen zu werden. Doch da kennt er die Wiener Gruftis schlecht: Wie kann er es wagen, sich anzumaßen, in diesen erlauchten Kreis aufgenommen werden zu wollen! Er, Wurm, solle am Boden kriechen und den Blick demütig senken, wenn einer dieser echten Gothics, der meist selber pickelgesichtig und spätpubertär ist, den (realen oder virtuellen) Raum betritt.
Als junge Frau hat man es da einfacher. Man wird zumindest als Frischfleisch gesehen. Und in der Hoffnung so in die „Szene“ aufgenommen zu werden, hat sich so manche schon einem der Szene-DJs hingegeben.
Als im Sommer 2001 eines dieser virtuellen Beschimpfungsrituale zu einem Massenouting der weiblichen Reichshälfte der Wiener Gruftis ausartete, als Neuling einem bestimmten DJ zum Opfer gefallen zu sein, und bei diesem Outing auch gleich jemand fälschlicherweise zwangsgeoutet wurde (was klarerweise gröbere Probleme mit dem Freund nach sich zog), beschloß ich, mich mit folgendem Statement in die Diskussion einzubringen:
An alle “Neulinge“, “Pseudos“ & ewigen Außenseiter!
Hört nicht auf die, die sich “echte wahre“ Gothics schimpfen! Wer es nötig hat sich so zu nennen, bezeugt damit nur einen fehlenden Selbstwert. Es gibt keinen klassischen Grufti, und wenn wäre er stinklangweilig. Die Vielseitigkeit macht uns interessant.
Träumt nicht von einer tollen Szene! Sie besteht auch nur aus frustrierten Altgruftis, Leuten die sich durch ein aufgesetztes Image interessant machen wollen, Außenseitern und “Neulingen“, die sich jahrelang bemühen irgendwie dazuzugehören.
Versucht nicht in die Szene “einsteigen“! Es gibt nichts abstoßenderes als Leute, die dazugehören wollen (Außer denen die alle anderen ausgrenzen & denen die Einsteigewillige ausnutzen.)
Wartet auf kein “Aufnahmeritual“ sondern macht einfach mit! Wartet nicht was Euch die anderen bieten oder sich nehmen. Überlegt was Ihr beitragen könnt. (Und das ist mehr als Euer frisches Blut.)
Macht Euch nicht von einer “kommerziellen“ Szene abhängig! Es ist schön, daß es einige so nette Grufti-Lokale gibt, aber die “Szene“ lebt nicht nur dort. Macht Euch Eure Events selber, postet sie im Netzt und schaut, wer mitmachen will.
Wie wäre es z.B. mit einem Vampir-Wochenende? Gemeinsam einige Filme ansehen, Geschichten vorlesen ...
Was haltet Ihr davon?
Klar, daß ich daraufhin von allen Szene-DJs und „echten Gothics“ virtuell geteert & gefedert aus der Stadt getragen wurde. Der Beitrag errang schnell Rekordzugriffsraten. Doch leider gingen die spärlichen konstruktiven Antworten in der Flut der Beschimpfungen unter. Anders im realen Leben: Da gab es von allen Seiten Vorschläge & Zuspruch, doch kaum jemand wagte es, sich im virtuellen Schlachtgetümmel auf die Seite des Ketzers zu stellen.
Deshalb wurde ich kurz darauf selber konkreter:
Ein Vorschlag: Ich treffe mich mit einigen Freundinnen Sonntag um Drei Uhr nachmittags zum Picknick im Burggarten (unter dem großen Baum beim Wasser).
Wer Lust hat, kann ja gerne vorbeikommen und sich einfach dazusetzen. (Ihr werdet uns schon erkennen!)
Wir wollen das einige Sonntage lang machen und vielleicht mit gemeinsamen Spaziergängen an sehenswerten Plätzen in Wien ergänzen. (Vorschläge gerne hier oder beim Picknick)
Es sind alle herzlich eingeladen!
Und es kamen gar nicht so wenige!
Im Verlaufe des Sommers wuchs das Grüppchen stetig an, und bald war die dunkle Schar im Schatten des großen Baumes ein fixer Bestandteil des sonntäglichen Burggartens. Man saß oder lag gemütlich herum, erholte sich oft von den Strapazen der Vornacht, plauderte über Gott & die Welt, aß & trank gemeinsam. Manchmal gab es Spaziergänge in einen der vielen Wiener Friedhöfe oder an andere beschauliche Orte. Bei Schlechtwetter traf man sich in einem Lokal in der Nähe. Und immer mehr Leute lernten sich kennen und manchmal auch lieben.
Irgendwann wurde sogar eine Grufti-Picknick-Mailingliste geschaffen.
Doch die Gerüchteküche brodelte: Der Herr Doktor (d.h. meine Wenigkeit - siehe Nachtrag!) suche sich auf diesem Wege nur selbst Frischfleisch – sogar ohne Szene-DJ zu sein! Er brate maßlos jede Frau an, die sich in diese Runde wagt, verführe kleine Grufti-Mädchen usw.
Klar mußte ich als Aushängeschild den Anstand wahren. Doch irgendwann reduzierte sich mein Beitrag zu diesem Projekt immer mehr auf das Aushängeschild-Sein. Und schließlich erfuhr ich sogar, daß wegen der Gerüchte um mich mancher Besucher des Picknicks nicht wagte, öffentlich zu seinen Grufti-Picknick-Besuchen zu stehen. Ich schadete diesem Projekt also inzwischen mehr als ich ihm nützte - und war dem dauernden Gerede gewaltig überdrüssig! So verabschiedete ich mich davon.
Nähere Informationen über den Weiterbestand dieses Projektes sind den diversen Grufti-Foren (wie www.gothic.at) zu entnehmen.
Nachtrag:
Es kam mir inzwischen zu Ohren, daß sich die Gesprächskultur in der Gothic-Szene in den letzten Jahren (vielleicht auch als Folge oben beschriebener Vorfälle & Interventionen) verändert habe. Einige Foren (z.B.das Ankh-Forum) sind entstanden, in denen sich eine angenehmere Gesprächskultur entwickeln konnte und auch verschiedene Freizeitunternehmungen gemeinsam geplant werden. Leider komme ich fast nie dazu, daran zu partizipieren.
2. Nachtrag:
Zum Namen „DrVanH“:
Der Name "DrVanH" entstand im Laufe der Arbeiten am Drehbuch für eine Vampir-Trilogie. Diese sollte den Titel "Die Bücher des DrVanH" erhalten. Das war ein Wortspiel, eine Anspielung auf den berühmten Vampir-Forscher aus Bram Stokers Roman, eine Abkürzung meines Familiennamens und eine Reminiszenz an den nördlicheren Teil meiner Wurzeln. Bei der Registrierung auf gothic.at waren alle Namen, die mit Wolf zu tun haben, schon vergeben. Das "DrVanH" war eigentlich eine Notlösung, die sich dann aber, nachdem dieser Name so schnell so traurige "Berühmtheit" erlangt hatte, als dauerhaftes "Markenzeichen" entwickelt hat. Seitdem bin ich in diesen Kreisen als DrVanH bekannt.